Verkehrspolitik: OBM Jung ist nicht der allwissende Messias – er sollte bei seine eigenen Kompetenzen bleiben!

Pressemitteilung vom 1. März 2017

Zur heutigen Berichterstattung in den Medien über die vom Oberbürgermeister im Handstreich gestrichenen bzw. komplett neu ausgerichteten Mobilitätsszenarien erklärt Daniel von der Heide, Stadtrat und verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:

„Es ist schon erstaunlich, wie der Oberbürgermeister immer wieder meint, sich über Stadtratsbeschlüsse hinwegsetzen zu können und sich so zum vermeintlichen Heilsbringer aufspielt.

Die vom Stadtrat beauftragte Erarbeitung einer Strategie zur weiteren Stärkung des Umweltverbundes wird durch seinen drastischen Schwenk zugunsten des motorisierten Individualverkehrs ad absurdum geführt. OBM Jung ignoriert damit nicht nur die Vorgaben der politischen Mehrheit sondern auch sämtliche fachlich fundierten Vorschläge der entsprechenden Fachverwaltungen. Selbst bei öffentlichen Auftritten scheint er nicht darauf zurückgreifen zu wollen.

Darüber hinaus verkehrt er auch den von ihm bestätigten Verwaltungsvorschlag vom Januar 2016 ins Gegenteil. Ich frage mich dabei, woher der selbsternannte Verkehrsfachmann Jung das Selbstverständnis nimmt, sowohl die beschlossenen Ziele des Stadtentwicklungsplanes Verkehr und Öffentlicher Raum (STEP Verkehr) zu konterkarieren, als auch die Strategien zur Stärkung des Umweltverbundes zu untergraben. Im übrigen würde ein Tunnel von Ost und West aufgrund von Planungsvorlauf, Bauphase usw. keinesfalls bis 2030 fertig gestellt sein – von der finanziellen Dimension mal ganz abgesehen – und ist daher keine Lösung für die Verkehrsprobleme, vor denen Jung selbst warnt. Die Mobilitätsszenarien hätten ja die Chance geboten, sich dem Problem fachlich fundiert zu nähern. Aber Herrn Jung ist ein großer Auftritt offensichtlich wichtiger, als sich auch mit unbequemen Ergebnissen ernsthaft auseinanderzusetzen. Er zeigt damit nicht nur, dass er den STEP Verkehr nicht im Ansatz verstanden hat.

Die wachsende Stadt zwingt uns natürlich dazu, einem drohenden Verkehrskollaps entgegenzuwirken. Dass dies nicht dadurch gelöst werden kann, indem man dem motorisierten Individualverkehr zusätzlichen Raum zur Verfügung stellt, sondern über einen attraktiven Verbund aus ÖPNV, Radverkehr und Car-Sharing sowie einer Stadt der kurzen Wege, hat offenbar noch nicht den Weg in sein Verständnis gefunden.“

Norman Volger, Fraktionsvorsitzender und umweltpolitischer Sprecher, ergänzt:
„Es ist schon absurd, dass Herr Jung mit Vorschlägen vorprescht, Leipzigs grüne Lunge, den Auwald, untergraben zu wollen, um den Autoverkehr mehr Raum zu geben.

Nicht nur die Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik sind ihm fremd, auch von Umweltpolitik hat er keine Fachkenntnis. Vielleicht sollte er lieber stärker auf den entsprechenden Sachverstand der Fachexperten zurückgreifen, statt wieder einmal eine wilde Sau durchs Dorf zu treiben.

Mit seiner Pressekonferenz wird darüber hinaus einmal mehr deutlich, wie weit er sich eigentlich von der eigenen Verwaltung entfernt hat. Die eigens ins Leben gerufenen Führungsleitlinien haben sich als nicht mehr als ein laues Lüftchen entpuppt, welches keiner mehr durchkreuzt als der, der sie in Auftrag gegeben hat. OBM Jung sollte sich endlich durch eigene Zurückhaltung und Achtung der fachlichen Expertisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf eine Stärkung des Wir-Gefühls der eigenen Verwaltung bemühen, statt in allen Dezernate nach eigenem Gutdünken und vermeintlichen Sachverstand in allen Fachfragen durch zu regieren, Sachverstand von Führungskräften zu übergehen und wiederholt durch Besserwisserei und Machtgehabe in nahezu allen Bereichen aufzufallen und so die fachlich verantwortlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gegeneinander auszuspielen.

Wir fordern den Oberbürgermeister dazu auf mit Politik und Verwaltung zusammenzuarbeiten, Ihre Kompetenzen anzuerkennen und zu fördern, statt diese zu spalten bzw. zu ignorieren!“


Im Januar 2016 hat der Stadtrat im Rahmen des Antrages VI-A-01833 folgenden Beschluss in der Fassung des Verwaltungsvorschlages gefasst:

Im Rahmen der Erarbeitung des Nahverkehrsplans werden mindestens 3 Szenarien zur Weiterentwicklung des ÖPNV in Leipzig untersucht. Neben den unterschiedlichen Leistungsbeschreibungen mit Schätzungen der Kosten und Zuschüsse sollen dabei auch zukunftsweisende Kriterien in die Erarbeitung der Szenarien einbezogen werden. Die Ergebnisse sind mit Bürgerschaft und Politik zu diskutieren.

Begründung:
Es ist ausdrücklich zu begrüßen, als nächsten großen Schritt zur Weiterentwicklung des Nahverkehrs in Leipzig, in Szenarien Möglichkeiten der Ausweitung des ÖPNV- Angebotes zu betrachten. Dabei sollten aber nicht nur das Leistungsangebot und der Zuschussbedarf der öffentlichen Hand betrachtet werden, sondern weitere zukunftsweisende Kriterien einbezogen werden, um die beschlossenen Ziele des Stadtentwicklungsplans Verkehr und öffentlicher Raum zu erreichen. Dies sind z. B. die Ausweitung des Straßenbahnnetzes (Neubaustrecken), die Entwicklung des Fahrzeugparks (neue Straßenbahnen), die Verringerung des Fußweges bis zur Haltestelle (kürzere Haltestellenabstände, Quartiersbusse) oder generell der barrierefreie Ausbau des ÖPNV. Diese Szenarienbetrachtung sollte nicht von vornherein durch das Setzen von finanziellen Grenzen eingeschränkt werden, sondern das bestmögliche Gesamtpaket für eine Weiterentwicklung des ÖPNV in Leipzig ermitteln. Diese Ergebnisse sind dann mit Bürgerschaft und Politik zu diskutieren.

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